Donnerstag, 31. März 2016

Bewundert und befehdet – Fritz von Uhdes Armeleute-Malerei


Fritz von Uhde: Lasset die Kindlein zu mir kommen (18884); Leipzig, Museum der bildenden Künste
(für die Großansicht einfach anklicken)
Populär wurde er vor allem durch seine christlichen Gemälde: Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte der Münchner Maler Fritz von Uhde (1848–1911) zu den
beliebtesten Künstlern Deutschlands. Großen Anklang fand gleich sein erstes religiöses Bild, das großformatige Lasset die Kindlein zu mir kommen von 1884 (188 x 290,5 cm). Noch im gleichen Jahr wurden mehr als 10 000 Reproduktionen des Gemäldes verkauft, 1886 erwarb das Museum der bildenden Künste in Leipzig das Bild. Doch in konservativ-kirchlichen Kreisen rief Uhdes Christusdarstellung scharfen Widerspruch hervor: Ein sanftmütiger, ärmlich-schlichter Jesus wird umrahmt von barfüßigen, zerlumpten Arbeiterkindern aus der Kaiserzeit. Ohne hoheitsvolle Distanz ist der Gottessohn hier abgebildet, still und bescheiden, Güte und Milde ausstrahlend, ein Mann aus dem Volk. Für die religiöse Malerei seiner Zeit war dieses Bild geradezu eine Revolution, für Uhde bedeutete es den Beginn einer Werkphase, die zwanzig Jahre andauern und zum erfolgreichsten Abschnitt seiner Künstlerkarriere werden sollte.
Uhdes Bilder zeigen Christus und andere biblische Gestalten nicht im Palästina des Neuen Testamentes, sondern in zeitgenössisch-moderner Umgebung, inmitten der Armen seiner Zeit: Arbeiter, Bauern, Handwerker, Fischer, Bettler – kleine Leute, die mit der Not des Lebens ringen, mit groben, eckigen Köpfen und blassen Gesichtern, müde und ernst, nicht im Sonntagsstaat, sondern in Arbeitskluft. Ihr Milieu wird äußerst realistisch wiedergegeben, und Jesus ist diesem Milieu so weit wie möglich angepaßt: zart und schmächtig, einfach gekleidet, barfüßig. Kraft und Männlichkeit fehlen, ein Kämpfer ist er nicht. Christus ist hier der Mitleidende, der sich bewusst den Bedürftigen und Geringen zuwendet, den Ausgebeuteten und Entrechteten. Aus dem geschönten und wirklichkeitsfremden Gottessohn der Nazarener ist bei Fritz von Uhde der soziale Jesus geworden, der dem armen, aber gottvertrauenden Menschen als seinesgleichen begegnet. Sein Christus ist der gütige Tröster, der zu den Menschen kommt, um ihnen das Licht der Hoffnung zu bringen; er ist kein „Christkönig“, sondern ein unscheinbarer Wanderprediger in verschossenem Gewand.
Fritz von Uhde: Komm, Herr Jesus, sei unser Gast (1885); Berlin, Alte Nationalgalerie
(für die Großansicht einfach anklicken)
Uhdes zweites religiöses Bild Komm, Herr Jesus, sei unser Gast (1885) zeigt ein Wirklichkeit gewordenes Tischgebet: Die Überraschung der Menschen wandelt sich in freundliches Begrüßen – Christus ist ein willkommener Gast. Für die hier Betenden ist das Tischgebet keine leere Formel, sondern ernst gemeint. Ihre Religiosität ist lebendig, wirkt ursprünglich-biblisch und bildet einen deutlichen Gegensatz zum damaligen bürgerlich-kirchlichen Christentum. Jesus fügt sich in den Kreis der ländlichen Proletarier beinahe bruchlos ein, er ist einer von ihnen. Erneut wurde eine solche Darstellung Christi schroff abgelehnt: „Das abgemagerte bleiche Antlitz, von dünnem schlichtem Haar und Bart umgeben, mit den tiefliegenden Augen (...) besitzt auch nicht einen kleinsten Zug von Hoheit und Seelenadel. Nur ausgesprochen körperliches Leiden herrscht in der ganzen matten, hinfälligen und schwindsüchtigen Gestalt, welche unser tiefstes Mitleid herausfordert. (...) Warum ist die Gottheit in der Christusfigur so gar nicht betont?“, hieß es in einer Rezension von 1886 im „Christlichen Kunstblatt“.
Fritz von Uhde: Abendmahl (1886); Stuttgart, Staatsgalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
Ein weiteres Hauptwerk dieser Zeit, das Abendmahl von 1886, zeigt die abgerissen bekleideten Jünger höchst naturalistisch mit derben Gesichtern und Händen. Christus hebt sich durch seine aufrechte Haltung, die Haartracht und asketisch-feine Gesichtszüge von den ihn umgebenden Aposteln ab. Wieder war es der proletarische Schauplatz, ein niedriges kahles Zimmer in einem Bauernhaus, und die realistisch gesehene Armut der Figuren, die die konservativen, idealistisch eingestellten Kunstkritiker empörten und einen Generalangriff auslösten: In Uhdes Abendmahl erkannten sie ein „Abendessen im Zuchthause“, in den Jüngern „Strolche“ und „Vagabundentypen“. Die Wirklichkeitsnähe des Bildes wurde als schockierend empfunden.
Maßstab der Kritik war Leonardo da Vincis Abendmahlsfresko in Mailand, als populärer Wandschmuck sehr verbreitet und Vorbild für alle Wiederholungen dieses Themas (siehe meinen Post „L’ultima cena“). Offizielle kirchliche Stellen betrachteten die Darstellung der Eucharistie in solchem Milieu als Herabwürdigung und Verunglimpfung des Heiligen und lehnten sie als blasphemisch und unruhestiftend ab. Uhdes Malerei steigere die herrschende Unzufriedenheit und schüre „Haß und Zwietracht“, so Paul Keppler, der spätere Bischof von Rottenburg. Kronprinz Wilhelm kanzelte das Bild gar als „Anarchistenfraß“ ab.
Fritz von Uhde: Heilige Nacht (1888/89); Dredsen , Gemäldegalerie Neue Meister
Mit seiner Heiligen Nacht, einem Triptychon von 1888/89, erging es Uhde nicht besser. In Maria sah man eine Mischung aus Dirne und Fabrikarbeiterin, am Stall wurden Leere und Dürftigkeit ausgesetzt. „Er malt ein Stück sozialen Elends, wie in schmutzigem Stall ein herabgekommenes Vagabundenweib niederkommt mit einem Erdenwurm, der ihr Elend erbt und wie der Vagabund auf der Stiege sitzt und sich nicht zu helfen weiss bei solcher Mehrung der Sorgen; das könnte zunächst unser Interesse hervorrufen; aber Ekel, gemischt mit Grauen und Entsetzen erfasst uns, wenn wir finden, dass das die heilige Nacht darstellen soll“, hieß es in der „Zeitschrift für christliche Kunst“ (Keppler 1892, Sp. 244/245).
Der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsene, bibelfeste Fritz von Uhde wollte einen den Menschen gegenwärtigen Christus darstellen und seine Verheißung „Ich bin bei euch alle Tage“ (Matthäus 28,20; LUT) in seinen Bildern zum Ausdruck bringen. Beim breiten Publikum hatte er damit großen Erfolg. Es war davon begeistert, dass Uhde „die Menschlichkeit des Nazareners und die große Liebe, die er lehrte und die ihn erfüllt“ (Gurlitt 1899, S. 553), darstellen wollte. Darin bestand die Leistung Uhdes für die religiöse Malerei seiner Zeit: Er ersetzte den zur Formel erstarrten Christus der Nazarener durch einen realistischen Christus der Gegenwart und konfrontierte die religiösen Gefühle des Bürgertums mit der harten Alltagswirklichkeit im Kaiserreich. Christus als Heiland der armen Leute – diese „revolutionäre Tendenz“ führte dazu, dass außer einem Spätwerk (dem Altarbild der Lutherkirche in Zwickau, 1905) keines seiner Bilder in einer Kirche unterkam. Alle andere Gemälde wurden von Museen oder Privatsammlern erworben.
Nach seinen künstlerischen Vorbildern befragt, bekannte sich Uhde eindeutig: „Der aber, den ich am meisten verehre, ist Rembrandt. (...) Er war vielleicht der einzige, der wirklich Christus malen konnte. Dies ist, wenn Sie wollen, mein künstlerisches Glaubensbekenntnis.“
Fritz von Uhde: Heideprinzesschen (1889); Berlin, Alte Nationalgalerie
(für die Großansicht einfach anklicken)
Neben seinen biblischen Bildern gehörten vor allem Kinder zu den bevorzugten Motiven Fritz von Uhdes. Ihre ungekünstelte und einfühlsame Darstellung zieht sich durch alle Schaffensphasen des liebevollen Vaters, der seine drei Töchter nach dem frühen Tod seiner Frau alleine erzog. Zunächst malte er Fischerkinder in Holland, später waren es seine eigenen Töchter, die er zum Modell nahm. Die Töchterbilder werden dann zum Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung: Es sind eigentlich keine Bildnisse mehr, sondern Landschaften und Interieurs. In Uhdes Spätwerk liegt das Hauptinteresse des Malers darin, Licht und Farbe wiederzugeben: In seinen duftigen, durchsonnten Gartenbildern erweist er sich ganz als deutscher Impressionist.

Literaturhinweise
Gurlitt, Cornelius: Die Deutsche Kunst des Neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1899;
Hansen, Dorothee (Hrsg.): Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus. Verlag Gerd Hatje, Ostfildern 1998;
Keppler, Paul: Gedanken über die modernen Malerei III. In: Zeitschrift für christliche Kunst 8 (1892), Sp. 241-252;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

(zuletzt bearbeitet am 22. Oktober 2021)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen