Dienstag, 21. Februar 2017

Predigen bis zum letzten Atemzug – Caravaggios „Martyrium des Apostels Andreas“


Caravaggio: Martyrium des Apostels Andreas (1607); Cleveland,
Cleveland Museum of Art (für die Großansicht einfach anklicken)
Andreas, Bruder von Simon Petrus und wie dieser Fischer von Beruf, war der Erste, der von Jesus als Jünger berufen und zu einem seiner zwölf Apostel wurde (Johannes 1,35-40). In späteren Jahren bekehrte er der Legende nach im griechischen Patras Maximilla, die Frau des römischen Statthalters Ägeas, zum Christentum und taufte sie. Ägeas ließ ihn daraufhin geißeln und zu besonderer Pein und langsamem Tod an ein X-förmiges Kreuz binden. Doch Andreas predigte an seinem Marterwerkzeug noch zwei Tage lang dem herbeiströmenden Volk, das bald seine Freilassung forderte. Als der Statthalter schließlich den Befehl gab, Andreas loszubinden, wurden durch göttliches Eingreifen die Arme der Schergen gelähmt, hatte der Apostel Christus doch inständig gebeten, am Kreuz sterben zu dürfen. Danach, heißt es in der Legenda aurea, „kam ein überwältigender Glanz vom Himmel und umgab ihn eine halbe Stunde, so daß keiner ihn sehen konnte, und als das Licht verschwand, gab er zugleich seinen Geist auf“ (de Voragine 2014, S. 117).
Caravaggio hat genau diese letzten Augenblicke auf seinem wohl 1607 in Neapel entstandenen Gemälde dargestellt. Der nur mit einem Lendentuch bekleidete Andreas ist an das in vorderster Bildebene aufragende Kreuz gefesselt. Von der Tradition abweichend, aber nicht ohne Vorbilder sind die Balken des Kreuzes im rechten Winkel angebracht und nicht diagonal übereinandergelegt. Caravaggio spielt jedoch mit der Beinstellung des Andreas auf diese Kreuzform an. Auf der linken Seite hat ein Scherge seine Leiter an das Kreuz gelehnt, um den Märtyrer loszubinden. Die beiden sind gleich groß und und in annähernd gleicher Weise dargestellt.
Am Fuß des Kreuzes verfolgen vier zeitgenössisch gekleidete Gestalten das Geschehen. Rechts im Vordergrund steht, durch seine metallene Rüstung und den federgeschmückten Hut ausgezeichnet, der römische Prokonsul. Er blickt zu dem auf der Leiter stehenden Handlanger auf, dem er wohl kurz zuvor befohlen hat, dem Apostel die Fesseln zu lösen. Drei weitere Zuschauer, eine ältere Frau mit Kopftuch und zwei männliche Figuren, sind tiefer im Bild angeordnet; die beiden Männer werden teilweise durch den Prokonsul verdeckt. Am rechten Bildrand hat Caravaggio einen hellen Lichtstreifen eingefügt, dessen Quelle sich nicht ausmachen lässt – womöglich ist damit der himmlische Glanz gemeint, von dem die Legende erzählt.
Die gesamte Szene ist wie so oft bei Caravaggio in dramatisches Helldunkel getaucht (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“); die Personen sind deutlich nach Modellen gemalt. Eindrucksvoll ist vor allem die Gestalt des Apostels: Sein Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen, das Haupt kraftlos auf die linke Schulter gesunken. Caravaggio verzichtet auf jedwede Idealisierung des Apostelkörpers. Der vergehende Blick deutet an, dass der Märtyrer seine letzten irdischen Momente erlebt. Naturalistisch sind auch die gealterten Gesichtszüge der Frau und ihr gut erkennbarer Kropf dargestellt. Die lebensnah wiedergebene Figur, die hier das „einfache Volk“ vertritt, erinnert an die bäuerlichen Pilger in Caravaggios Madonna di Loreto.
Caravaggio: Madonna di Loreto (um 1604); Rom SantAgostino
Das Ereignis wird nah an die vordere Bildebene herangerückt, der Betrachter ist sozusagen ein weiterer Zuschauer, Teil der Volksmenge. Der Apostel „füllt fast das ganze Bildformat, und die halbfigurigen, von der Komposition angeschnittenen Gestalten der unteren Bildhälfte suggerieren eine Kontinuität von Bild und Betrachterraum“ (Schütze 2009, S. 193). Besonders der aufblickende, im Profil gezeigte Prokonsul dient dabei als Identifikationsfigur. Caravaggio greift mit dieser Gestalt nochmals den geharnischten Offizier aus seiner Dornenkrönung Christi auf (siehe meinen Post „Der angespiene König“).
Caravaggio: Dornenkrönung Christi (1602/03); Wien, Kunsthistorisches Museum
Das sicherlich als Altarbild gedachte Martyrium des Apostels Andreas gehörte zu den ersten Gemälden Caravaggios, die nach Spanien gelangten. Es war für die Rezeption seiner Werke in der iberischen Malerei des 17. Jahrhunderts von großer Bedeutung, vor allem für die Bilder von Jusepe de Ribera (1591–1652).
Jusepe de Ribera: Martyrium des Apostels Philippus (um 1639); Madrid, Museo del Prado

Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria (Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 109-110;
de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 101-125;   
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 208-209;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 167-169;
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 219-223;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2011.

(zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2021) 

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