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Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Bildparallel füllt ein geharnischter Reiter,
mit Lanze und Schwert bewaffnet, den Vordergrund des Blattes. Aufrecht auf
seinem ruhig daherschreitenden Ross sitzend, ist er so knapp in das Viereck des
Kupferstiches eingespannt, dass der linke Hinterhuf seines Pferdes fast den
Rand berührt. Die geschulterte Hellebarde endet vorn und hinten außerhalb des
Bildes. Unverwandt blickt der Reiter in die Richtung des eingeschlagenen Wegs.
Er ist nicht mehr jung, sondern nach damaligem Verständnis mit über fünfzig ein
alter, wenn auch kräftemäßig nicht verbrauchter Mann. Seine Rüstung ist kostbar,
doch nicht alle Harnischteile passen zusammen – als habe er im Lauf seines
kriegerischen Lebens Stücke nach und nach ergänzen müssen. Die Zügel hält er
locker, doch so angezogen, dass das Pferd in seinem Vorwärtsdrang etwas
zurückgenommen wird. Die Ohren aufmerksam nach vorn gestellt, sucht es sich
seinen Weg. Denn der ist ebenso steinig wie unwirtlich: Links unten im
Vordergrund liegt eine Totenschädel; kahler, abgestorben wirkender Bewuchs
streckt sich in die Höhe, ein aufragende Felswand verengt den weiteren Weg. Ein
älterer struppiger Hund mit angelegten Ohren geht neben der rechten Hinterhand
des Pferdes bei Fuß. Am oberen Bildrand öffnet sich der bewucherte Hang und
gibt den Blick auf eine hoch und hell in der Ferne liegende Burg frei. Sie
könnte, am Ende eines steilen, gewundenen Weges, das Ziel des Reiters sein.
Zwei unheimliche Gestalten erscheinen
spukhaft, als hätten sie dem Reiter aufgelauert. Die vordere Figur in weißem
Hemd verkörpert nach spätmittelalterlicher Vorstellung den Tod. Er reitet auf einem
abgezehrten Klepper, um dessen Hals ein Stunden- oder Totenglöckchen hängt,
trägt eine Königskrone und ist nicht als Gerippe, sondern als Kadaver wiedergegeben,
lippenlos und ohne Nase, Kopf und Hals von Schlangen umwunden. In seiner Rechten
hält er das mit einer Klappsonnenuhr kombinierte Stundenglas, das er mahnend dem Ritter weist, Symbol der ablaufenden menschlichen
Lebenszeit. Doch befindet sich im oberen Teil durchaus noch genügend von dem langsam
nach unten rinnenden Sand. Das Mischwesen am rechten Bildrand stellt den Teufel
dar. Mit seiner Tierschnauze und dem nach vorn gebogenen, großen Stirnhorn
gleicht er dem Teufel auf Dürers Holzschnitt Christus in der Vorhölle. Er führt eine Spitzhaue mit sich und
scheint sich an den Reiter heranzuschleichen.
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Albrecht Dürer: Christus in der Vorhölle (1510); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Von vielen Kunsthistorikern wird der
Reiter als christlicher Ritter („Miles Christianus“) gedeutet, der furchtlos
dem Weg zu seinem Seelenheil folgt. Der Kupferstich könnte in direktem Zusammenhang
mit der Schrift Enchiridion militis Christiani
(„Handbuch des christlichen Soldaten“) des Erasmus von Rotterdam stehen, 1503
in Antwerpen erstmals gedruckt. Dann wäre die Botschaft des Bildes in etwa: Wir
Menschen sind seit dem Sündenfall von Unheil und Tod umgeben. Nur im Vertrauen
auf Gott können wir uns gegen das Unbill des Lebens wappnen und unserem Tod gefasst
entgegensehen. Dazu aber ist es nötig, sich stets der teuflischen Gefahren, die
auch in uns lauern, bewusst zu sein und sie zu bekämpfen, d. h. unser Leben
nach christlichen Prinzipien zu führen.
Argumente für diese Interpretation
bietet Dürers Komposition selbst. Der aufrecht im Sattel sitzende Reiter greift
straff in die Zügel, bändigt damit die Bewegungen seines Pferdes. „Denkmalhafte
Form entsteht, visueller Begriff einer Zügelung, nicht nur des Pferdes,
vielmehr auch der eigenen Person und seiner inneren Bewegungen. Ein übriges tut
in diesem Sinne die »Fassung« des Gesichts im Profil, sie bezeichnet Ruhe und
beherrschende Kraft“ (Rebel 1996, S. 296). Die Burg im Hintergrund wäre dann
als Sinnbild für das Ende und Ziel des christlichen Lebensweges zu verstehen,
also als himmlisches Jerusalem bzw. künftiges Paradies; Hund und Eidechse
könnten Glaubenstreue bzw. Glaubenseifer symbolisieren.
Der Vergleich zwischen dem Christen,
der sich inmitten einer feindlichen Welt mit dem Glauben wappnet und dem ihm
von Gott gewiesenen Weg geht, und dem Soldaten, der sich für eine Schlacht rüstet,
geht auf den Epheserbrief des Paulus zurück (Kapitel 6, Vers 11-17, LÜ). Dort
ermahnt der Apostel die Gläubigen, die „Waffenrüstung Gottes“ anzuziehen, „damit
ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir
haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen herrschen,
mit den bösen Geistern unter dem Himmel. (...) So steht nun fest, umgürtet an
euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an
den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens. Vor
allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen
könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt
den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“
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Albrecht Dürer: Der Reiter (Aquarell-Studie, 1498); Wien, Albertina (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Albrecht Dürer: Das Kleine Pferd (1505); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Donatello: Reiterdenkmal des Condotierre Gattamelata (um 1443-1453); Padua, Piazza del Santo |
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Andrea del Verrocchio: Reiterdenkmal des Bartolomeo Colleoni (1480-1488); Venedig, Campo Santi Giovanni e Paolo |
Für den Reiter griff Dürer auf eine
fünfzehn Jahre alte Vorstudie von 1498 zurück. Ihr folgten seit 1500 zahlreiche
Studien zur idealen Proportion des Pferdes und die berühmten Kupferstiche Das Kleine Pferd und Das Große Pferd (siehe meinen Post
„Dürers Pferde“). Ganz offensichtlich sind italienische Reitermonumente des
Quattrocento formale Vorbilder für Dürer gewesen: Donatellos Gattamelata in Padua (siehe meinen Post
„Der Söldnerführer von Padua“) war dem Nürnberger Meister ebenso bekannt wie
der Colleoni von Andrea del Verrochio
in Venedig.
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Martin Schongauer: Versuchung des hl. Antonius (um 1470); Kupferstich |
Als Inspirationsquelle für Dürers gespenstische Mischwesen ist ohne
Frage Martins Schongauers Kupferstich Die
Versuchung des hl. Antonius zu nennen (siehe meinen Post „Besuch aus der Hölle“). In die untere Ecke der Komposition
hat Dürer ein Signaturtäfelchen mit einem S (für „Salus“ = Jahr des Heils), der
Jahreszahl 1513 und seinem Monogramm ein. Einen Titel gab er der Darstellung
nicht. Im Tagebuch seiner Reise in die Niederlande nennt er den Kupferstich nur
den „Reuther“, die bekannte Bezeichnung Ritter,
Tod und Teufel stammt aus dem Jahr 1778.
Literaturhinweise
Mende,
Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer, Das druckgraphische Werk. Band I:
Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 169-172;
Panofsky,
Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München
1977 (zuerst erschienen 1943), S. 201-206;
Rebel, Ernst: Albrecht
Dürer. Maler und Humanist. C. Bertelsmann Verlag, München 1996, S. 294-296;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 32-33;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 32-33;
Schröder,
Klaus Albrecht / Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung
in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 416;
LÜ = Lutherbibel, revidierter Text
1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.(zuletzt bearbeitet am 22. März 2018)
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