Freitag, 14. Juli 2017

Unbeirrt und furchtlos – Albrecht Dürers Meisterstich „Ritter, Tod und Teufel“


Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich
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Bildparallel füllt ein geharnischter Reiter, mit Lanze und Schwert bewaffnet, den Vordergrund des Blattes. Aufrecht auf seinem ruhig daherschreitenden Ross sitzend, ist er so knapp in das Viereck des Kupferstiches eingespannt, dass der linke Hinterhuf seines Pferdes fast den Rand berührt. Die geschulterte Hellebarde endet vorn und hinten außerhalb des Bildes. Unverwandt blickt der Reiter in die Richtung des eingeschlagenen Wegs. Er ist nicht mehr jung, sondern nach damaligem Verständnis mit über fünfzig ein alter, wenn auch kräftemäßig nicht verbrauchter Mann. Seine Rüstung ist kostbar, doch nicht alle Harnischteile passen zusammen – als habe er im Lauf seines kriegerischen Lebens Stücke nach und nach ergänzen müssen. Die Zügel hält er locker, doch so angezogen, dass das Pferd in seinem Vorwärtsdrang etwas zurückgenommen wird. Die Ohren aufmerksam nach vorn gestellt, sucht es sich seinen Weg. Denn der ist ebenso steinig wie unwirtlich: Links unten im Vordergrund liegt ein Totenschädel; kahler, abgestorben wirkender Bewuchs streckt sich in die Höhe, eine aufragende Felswand verengt den weiteren Weg. Ein älterer struppiger Hund mit angelegten Ohren geht neben der rechten Hinterhand des Pferdes bei Fuß. Am oberen Bildrand öffnet sich der bewucherte Hang und gibt den Blick auf eine hoch und hell in der Ferne liegende Burg frei. Sie könnte, am Ende eines steilen, gewundenen Weges, das Ziel des Reiters sein.
Zwei unheimliche Gestalten erscheinen spukhaft, als hätten sie dem Reiter aufgelauert. Die vordere Figur in weißem Hemd verkörpert nach spätmittelalterlicher Vorstellung den Tod. Er reitet auf einem abgezehrten Klepper, um dessen Hals ein Stunden- oder Totenglöckchen hängt, trägt eine Königskrone und ist nicht als Gerippe, sondern als Kadaver wiedergegeben, lippenlos und ohne Nase, Kopf und Hals von Schlangen umwunden. In seiner Rechten hält er das mit einer Klappsonnenuhr kombinierte Stundenglas, das er mahnend dem Ritter weist, Symbol der ablaufenden menschlichen Lebenszeit. Doch befindet sich im oberen Teil durchaus noch genügend von dem langsam nach unten rinnenden Sand. Das schielende Mischwesen am rechten Bildrand stellt den Teufel dar. Mit seiner Tierschnauze und dem nach vorn gebogenen, großen Stirnhorn gleicht er dem Teufel auf Dürers Holzschnitt Christus in der Vorhölle (siehe meinen Post Hinabgestiegen in das Reich des Todes“). Er führt eine Spitzhaue mit sich und scheint sich an den Reiter heranzuschleichen. 
Albrecht Dürer: Christus in der Vorhölle (1510); Holzschnitt
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„Bewusst lässt Dürer den Betrachter im Unklaren, ob der Reiter Tod und Teufel nicht nur im Geiste schaut“ (Mende 2001, S. 170). Furcht scheinen die beiden Schreckgestalten ihm aber offensichtlich nicht einzujagen, ja, er beachtet sie nicht einmal – vergeblich versuchen sie, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Gegensatz „zu der Unterwürfigkeit, mit der der Teufel sich an den Ritter heranmacht, und zu der erbärmlichen Schwäche des Todes und seines erschöpften Pferdes, vermittelt die gemessene Gangart des mächtigen Streitrosses die Idee unaufhaltsamen Fortschreitens“ (Panofsky 1977, S. 206). Anders als bei seinem 1504 entstandenen Kupferstich Adam und Eva (siehe meine Post „Aus Göttern werden Menschen“) arbeitet Dürer hier nicht mit dem starken Kontrast heller Figuren vor dunklem Hintergrund, sondern lässt „durch subtile tonale Abstufungen ein gleichmäßig schattiges, dem düsteren Ort entsprechendes Licht entstehen“ (Sonnabend 2007, S. 194).
Von vielen Kunsthistorikern wird der Reiter als christlicher Ritter („Miles Christianus“) gedeutet, der furchtlos dem Weg zu seinem Seelenheil folgt. Der Kupferstich könnte in direktem Zusammenhang mit der Schrift Enchiridion militis Christiani („Kleines Handbuch des christlichen Soldaten“) des Erasmus von Rotterdam stehen, 1503 in Antwerpen erstmals gedruckt. Dann wäre die Botschaft des Bildes in etwa: Wir Menschen sind seit dem Sündenfall von Unheil und Tod umgeben. Nur im Vertrauen auf Gott können wir uns gegen das Unbill des Lebens wappnen und unserem Tod gefasst entgegensehen. Dazu aber ist es nötig, sich stets der teuflischen Gefahren, die auch in uns lauern, bewusst zu sein und sie zu bekämpfen, d. h. unser Leben nach christlichen Prinzipien zu führen.
Argumente für diese Interpretation bietet Dürers Komposition selbst. Der aufrecht im Sattel sitzende Reiter greift straff in die Zügel, bändigt damit die Bewegungen seines Pferdes. „Denkmalhafte Form entsteht, visueller Begriff einer Zügelung, nicht nur des Pferdes, vielmehr auch der eigenen Person und seiner inneren Bewegungen. Ein übriges tut in diesem Sinne die »Fassung« des Gesichts im Profil, sie bezeichnet Ruhe und beherrschende Kraft“ (Rebel 1996, S. 296). Die Burg im Hintergrund wäre dann als Sinnbild für das Ende und Ziel des christlichen Lebensweges zu verstehen, also als himmlisches Jerusalem bzw. künftiges Paradies; Hund und Eidechse könnten Glaubenstreue bzw. Glaubenseifer symbolisieren.
Der Vergleich zwischen dem Christen, der sich inmitten einer feindlichen Welt mit dem Glauben wappnet und den ihm von Gott gewiesenen Weg geht, und dem Soldaten, der sich für eine Schlacht rüstet, geht auf den Epheserbrief des Paulus zurück (Kapitel 6, Vers 11-17, LUT). Dort ermahnt der Apostel die Gläubigen, die „Waffenrüstung Gottes“ anzuziehen,damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. (...) So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“
Jeroen Stumpel deutet die Szene des Kupferstichs allerdings als Mahnung, sich bewusst zu sein, dass der Tod jederzeit unvorhergesehen das eigene Leben beenden kann. Der Ritter habe den Tod, der rechts neben ihm auftaucht, noch überhaupt nicht wahrgenommen: „the black inside of the helmet blocks the view“ (Stumpel 2009/2010, S. 85). Dass er den Teufel überhaupt registriert hat, scheint Stumpel ebenfalls eher unwahrscheinlich –  obwohl der seine rechte Klauenhand erhoben habe, um den Reiter auf sich aufmerksam zu machen. „The devil has simply come and is waiting for Death to do his job – just as the riders lack of consideration for the time of his death will make him the devils reward(Stumpel 2009/2010, S. 85). Auch der Totenschädel am linken unteren Bildrand sei als Memento mori zu verstehen und daher ein weiterer Hinweis darauf, dass der Tod und die angemessene innere Vorbereitung auf das eigene Ende Thema von Dürers Kupferstich ist. Unbekümmertheit und Unerschütterlichkeit sind in solchem Zusammenhang nicht mehr rühmliche Charakterzüge des Ritters, sondern werden ihm vielmehr zum Fallstrick: „his negligence of his souls salvation is what condemns him(Stumpel 2009/2010, S. 88).
Albrecht Dürer: Der Reiter (Aquarell-Studie, 1498); Wien, Albertina
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Albrecht Dürer: Das Kleine Pferd (1505); Kupferstich
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Donatello: Reiterdenkmal des Condotierre Gattamelata (um 1443-1453); Padua, Piazza del Santo
Andrea del Verrocchio: Reiterdenkmal des Bartolomeo Colleoni (1480-1488); Venedig, Campo Santi Giovanni e Paolo
Für den Reiter griff Dürer auf eine fünfzehn Jahre alte Vorstudie von 1498 zurück. Ihr folgten seit 1500 zahlreiche Studien zur idealen Proportion des Pferdes und die berühmten Kupferstiche Das Kleine Pferd und Das Große Pferd (siehe meinen Post „Dürers Pferde“). Ganz offensichtlich sind italienische Reitermonumente des Quattrocento formale Vorbilder für Dürer gewesen: Donatellos Gattamelata in Padua (siehe meinen Post „Der Söldnerführer von Padua“) war dem Nürnberger Meister ebenso bekannt wie der Colleoni von Andrea del Verrocchio in Venedig. 
Martin Schongauer: Versuchung des hl. Antonius (um 1470); Kupferstich
Als Inspirationsquelle für Dürers gespenstische Mischwesen ist ohne Frage Martins Schongauers Kupferstich Die Versuchung des hl. Antonius zu nennen (siehe meinen Post Besuch aus der Hölle“). In die untere Ecke der Komposition hat Dürer ein Signaturtäfelchen mit einem S (für „Salus“ = Jahr des Heils), der Jahreszahl 1513 und seinem Monogramm eingefügt. Einen Titel gab er der Darstellung nicht. Im Tagebuch seiner Reise in die Niederlande nennt er den Kupferstich nur den „Reuther“, die bekannte Bezeichnung Ritter, Tod und Teufel stammt aus dem Jahr 1778.

Literaturhinweise
Mende, Matthias: Der Reiter. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer, Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 169-172;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 201-206;
Rebel, Ernst: Albrecht Dürer. Maler und Humanist. C. Bertelsmann Verlag, München 1996, S. 294-296;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 32-33;
Schröder, Klaus Albrecht / Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 416;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 194;
Stumpel, Jeroen: Dürer and death: on the iconography of Knight, Death and the devil. In: Simiolus 34 (2009/2010), S. 75-88;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

(zuletzt bearbeitet am 8. April 2020) 

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